Kapey

Der 29.10.2020

Das Klingeln des Telefons riss mich aus dem Schlaf. Ich konnte am Abend vorher lange nicht einschlafen, nachdem ich ins Bett gegangen war. Die Gedanken an Wolfgang und an unsere gemeinsame Kinderzeit kamen und gingen und ich bin immer wieder in der Nacht wach geworden. Es war jetzt kurz vor 8:00 Uhr und mein Mann war am anderen Ende der Leitung. Er war besorgt um mich und rief von der Arbeit aus an. „Guten Morgen, wie geht es dir, hast du überhaupt schlafen können?“, fragte er. Wir sprachen kurz miteinander und ich stand auf.

Bevor ich ins Badezimmer gehen konnte, klingelte es unten an der Haustür. Wer kommt unangemeldet um diese Zeit zu mir? Ausgerechnet jetzt, ich war wie gerädert, überhaupt nicht ausgeschlafen und auch noch nicht angezogen. Es gab keinen Termin mit einem Handwerker und mit meiner Tochter war ich auch nicht verabredet. Ich ging zum Fenster, denn von dort aus kann ich zum Gartentor sehen. Ein Polizeiauto stand davor. Ich ging im Schlafanzug die Treppe runter zur Haustür und es klingelte ein zweites Mal. Ich öffnete die Haustür, es stand aber niemand vor der Tür und ich ging die 3 Stufen in den Garten hinunter. Denn erst dann kann ich von dort aus zum Gartentor sehen.

Die Beamten saßen schon wieder im Auto. Sie hatten am Gartentor und nicht an der Haustür geklingelt. Ich machte mich bemerkbar, indem ich ein Stück in den Garten, Richtung Gartentor ging. Eine Polizistin und ein Polizist stiegen aus dem Auto aus und kamen in den Garten. Ich ging zurück ins Haus, ließ die Haustür einen Spalt offen und ging schnell ins Badezimmer, um mir meinen Bademantel anzuziehen. Ich wollte nicht im Schlafanzug mit den Beamten sprechen müssen. Zeit mich anzuziehen, hatte ich in der Situation aber keine mehr.

Jeder bekommt einen Schrecken, wenn die Polizei unerwartet vor der Tür steht, ich auch. Eine junge Polizistin und ein junger Polizist in Uniform standen vor der, einen Spalt breit geöffneten Haustür. Ich öffnete die Tür und fragte, worum es denn ginge? Die Polizistin fragte daraufhin, ob sie herein kommen dürften. Sie wollten mir die Nachricht, die sie mir überbringen mussten, wohl nicht draußen vor der Haustür mitteilen. Die Polizistin trug einen medizinischen -Mund-Nasenschutz-. Wir waren im ersten  -Corona- Herbst 2020- und es steckten sich immer mehr Menschen mit dem neuen -Corona- Virus- an. Es gab einige -Corona- Vorschriften und es wurden auch schon neue Vorschriften besprochen und sollten bald verkündet werden. Ich fragte sie, ob ich auch eine Maske tragen -müsste-? Sie meinte nein, muss ich nicht, wenn ich nicht möchte. Ich trage alleine im Haus keine Schutzmaske, warum auch und ich wollte jetzt auch keine Maske aufsetzen. Dann wäre ich mir ja noch lächerlicher vorgekommen, mit Schlafanzug, Bademantel, Hausschuhe und Maske! Ich wollte nur noch wissen, warum die Polizei bei mir war. 

Ich bat die Beamten herein und ging durch die Diele vor, in die Küche. Die Beamten folgten mir. Meine Küche ist in der Regel immer aufgeräumt. Geschirr zum Abwaschen wird immer sofort in den Geschirrspüler eingeräumt und so stand auch nichts in der Küche herum. Allerdings lag auf dem Esstisch unserer Sitzgruppe in der Küche mein angefangenes Bild (Keilrahmen), Farben und Pinsel.  Das lag schon da, als Christina mich angerufen hatte. Ich bin als -Hobby-Künstlerin- Mitglied im Kunstverein unseres kleinen Städtchens. Es war Ende Oktober und die Bilder für die Ausstellung der -Hobby-KünstlerInnen- Anfang Dezember, mussten bald eingereicht werden und ich hatte daran gearbeitet, als Christina anrief. Weiter bin ich bisher nicht gekommen, ich hatte andere Dinge im Kopf. Ich entschuldigte mich für -die Unordnung- auf dem Tisch und wies auf mein Bild hin und bot der Beamtin und dem Beamten an, sich zu setzen. Sie lehnten dankend ab und so standen wir uns in der Küche gegenüber. Die Polizisten in kompletter Uniform mit Waffen und ich im Schlafanzug mit Bademantel und Hausschuhe. Die Szene kam mir etwas unwirklich, aber auch bedrohlich vor und es war mir sehr peinlich, so im Bademantel und Schlafanzug vor den Beamten zu stehen!

Die Beamtin fragte mich vorsichtig und mitfühlend, ob mein Bruder Wolfgang … hieße und in Hamburg lebte? Als ich das bejahte, sagte sie, dass sie mir leider mitteilen muss, dass er tot in seiner Wohnung in Hamburg aufgefunden wurde. Mir fiel ein -Stein vom Herzen- und mir kamen die Tränen. Tränen der Erleichterung und Anspannung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Polizei kommt, um mich über den Tod meines Bruders in Hamburg zu informieren und hatte schon weitere Probleme befürchtet. Unfälle in der Familie, von denen ich noch nichts wusste?! Die Polizistin machte einen Schritt auf mich zu, als ob sie mich in den Arm hätte nehmen wollen, um mich zu trösten. Dann blieb sie abrupt stehen und war sich wohl der -Corona- Situation- bewusst. Aber diesen -Schritt- habe ich als sehr tröstlich und mitfühlend empfunden.

„Meine Tochter hat mich schon über den Tod meines Bruders informiert“, antwortete ich ihr und sie wirkte ein wenig erleichtert, dass sie mir doch keine -Schock-Nachricht- übermittelt hatte und ich schon Bescheid wusste. Jedenfalls sah es für mich so aus. Die Verwandte aus Hamburg, hatte telefonisch Angaben über Wolfgang bei der Polizei Hamburg gemacht und gesagt, dass es noch eine Schwester in Bayern gibt, sie aber keine Telefonnummer von mir hatte. Diese Auskunft war der Grund, warum die Beamten kommen mussten.

Die Polizistin sprach mir ihr Beileid aus und übergab mir ein DIN-A4-Blatt mit einigen Telefonnummern darauf. Ich sollte mich mit dem Beamten in Verbindung setzen, der in Hamburg den -Fall- bearbeitete. Der könne mir auch weitere Hinweise zu den Umständen geben, die bei der Polizei in Hamburg bekannt sind. Der junge Polizist stand in der ganzen Zeit schweigend in der Küche und sah sich in aller Ruhe um.

Ich erzählte der Beamtin, dass ich schon seit 5 Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Bruder hatte. Er hatte mir und meinem anderen Bruder Hans, das Erbe unserer Mutter nicht ausgezahlt. Hat alles drei Jahre verzögert, immer mit irgendwelchen Ausreden und hat sich dann einfach nach und nach nicht mehr gemeldet. „Es geht nicht um viel Geld“, sagte ich. „Das ist nicht das Problem. Aber, dass er sich überhaupt so verhalten hat, wie er sich verhalten hat, war für Hans und mich unbegreiflich. Wir drei Geschwister hatten immer ein recht gutes Verhältnis zueinander und unsere Mutter hat ihm vertraut, dass er alles ordentlich erledigt“. „Ja, Erbstreitigkeiten bringen viele Familien auseinander. Das hören wir immer wieder“, sagte die Beamtin mitfühlend. Sie fragte mich dann, ob es mir gut gehe, oder ob sie noch jemanden benachrichtigen sollte (wen könnte man denn benachrichtigen, oder wer würde benachrichtigt, wenn ich gesagt hätte, es geht mir nicht gut?)? Ich antwortete ihr: „Ich komme zurecht“.

Da die Beamtin die ganze Zeit einen Mund-Nasenschutz getragen hatte, sprachen wir auf dem Weg zur Haustür noch kurz über das allgegenwärtige Thema -Corona-. „Wir sind alle gesund in der Familie und niemand hat sich bisher mit dem Virus angesteckt. Wir kennen auch niemanden, der sich angesteckt hat und alle die wir kennen, kennen auch niemanden, der sich angesteckt hat“, sagte ich zu ihr. Ich öffnete die Haustür und die beiden Beamten verabschiedeten sich freundlich.

Ich schloss die Haustür und war immer noch erleichtert, dass es -nur- die Nachricht vom Tod meines Bruders Wolfgang war, die mir die Beamten überbracht hatten und nicht noch eine andere, weitere unerwartete Katastrophennachricht, wie ich befürchtet hatte, als ich das Polizeiauto vor dem Gartentor gesehen habe. Ich ging ins Badezimmer, um mich endlich fertig zu machen. Ich hasse Tage, die so anfangen!

zurück zur Startseite



Unsere Partnerseiten
Schriftsteller Udo Weinbörner / Peyker.de /
Schriftstellerin Anne Labus / Emely Barth Homepage / Theatergruppe-Hausen /